Agile Transformation Roadmap
Agile Reiseplanung
Wie die Transformation zur agilen, selbstlernenden Organisation gestaltet werden kann.
In unserem Artikel „Agilität starten und entwickeln“ haben wir uns bereits Grundmodellen, wie Organisationen Agilität starten können, gewidmet. Schauen wir uns nun den Weg, eine Organisation in die agile Welt zu transformieren, genauer an.
Schon bei der Reiseplanung ist besonders darauf zu achten, dass auch wirklich die gesamte Organisation in der agilen Welt ankommt. Den Weg in die agile Welt zu beschreiten ist für viele Organisationen eine große Herausforderung und gleicht oft einem Paradigmenwechsel.
Es gibt auch nicht den einen richtigen Weg: Generell folgen agile Entwicklungsprozesse den individuellen Gesetzen einer Organisation. Dennoch gibt es Grundmuster bzw. mögliche Schritte, die sich in der Praxis bewährt haben. Gehen wir also auf die Reise …
Ein „lässiges“ neues Organigramm allein macht noch keine Organisation agil.
Der agile Reiseplan
Die agile Welt umfasst Werte, Methoden (Frameworks) und Techniken. Das agile Mindset ist fundamental. Jede Organisation fokussiert hier, abhängig von der jeweiligen Historie und vom Umfeld, auf unterschiedliche Werte. Wesentlich ist jedoch, eine gemeinsame, einheitliche und klare Basis zu definieren, auf der sodann Entscheidungen getroffen und weitergehende Prinzipien, Strategien und Praktiken definiert werden können, beispielsweise mit den Scrum-Werten Respekt, Commitment, Mut, Offenheit und Fokus.
Die agile Welt: Agile Werte – Methoden – Techniken
Diese Werte zu etablieren ist die eigentliche Herausforderung, da bekanntlich gerade deren Wandel nicht „mal eben so“ verordnet werden kann. Vielmehr haben wir unsere Werte über unser gesamtes Leben hin erlernt. Hat jemand andere Werte als die agilen, wird er diese nicht einfach so über Bord werfen. Hier ist also ein längerer Prozess zu erwarten.
Als Voraussetzung für einen gelungenen Reisestart muss das Topmanagement selbst überzeugt sein und Agilität auch vorleben, dann kann auch der Kulturwandel gelingen. Genau dafür ist die erste Etappe der agilen Reise, die agile Standanalyse, gedacht. Häufig wird jedoch vom Management bloß das Reiseziel „agile Organisation“ vorgegeben, dann werden die Führungskräfte und Mitarbeitenden aber alleine gelassen. Ein „lässiges“ neues Organigramm allein macht jedoch noch keine Organisation agil. Dazu bedarf es neben agilen Strukturen auch agiler Ausrichtungsprozesse und vor allem einer agilen Kultur, denn eine ganzheitlich verstandene Organisationsentwicklung betrachtet immer die strategische Ausrichtung, die Strukturen und die Kultur sowie deren Wechselwirkungen.
Das Organisationsdreieck – auch für agile Transformationen relevant
Welche Methoden und Techniken zur Zielerreichung Sinn ergeben und wie sie zum Einsatz kommen können, hängt dann stark von der Organisationskultur, den Strukturen, vom Auftrag, den Rahmenbedingungen, den Mitarbeitenden und vom Zielbild ab. Mit anderen Worten: Die Methoden und Techniken wählt jede Organisation und jeder Bereich situativ aus. Dieses Zielbild zu gestalten, liegt auf der zweiten Etappe unserer Reise in die agile Welt.
Sich auf die agile Reise zu machen bedeutet, die eigene Organisation selbstlernend und dadurch agil zu gestalten. Agile Transformation ist als ein integrierter Organisations- und Personalentwicklungsprozess zu verstehen, der die Beschäftigten befähigt, agile Arbeitsformen auszuwählen und anzuwenden, sodass die Organisationsstruktur im Sinne einer lernenden Organisation lebt.
Beispiel für Phasen auf der Reise zur agilen Organisation
Diese Transformation beginnt demnach zumeist mit einer Standortanalyse. Darauf folgt die Gestaltung eines systemischen Zielbildes. In der dritten Phase geht es dann ums Ausprobieren, um das Sammeln von Erfahrungen und um die Befähigung der Beteiligten. Im Überblick ergeben sich also für jede Etappe folgende Aufgabenstellungen:
Etappe 1:
- Agile Standortanalyse
- Start des Transformationsvorhabens mit der Identifikation der „Brennpunkte“ als Keimzelle der ersten Veränderungsschritte und als Basis möglicher Pilotprojekte
Etappe 2:
- Systemische Zielbildgestaltung mit der Identifikation sowie Schaffung der dafür notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen
Etappe 3:
- Befähigung der Beschäftigten und Führungskräfte zur Umsetzung eines Pilotprojektes mit agilen Methoden in Strategie, Führung und Zusammenarbeit (z. B. Agile Strategy Maps, Scrum, Kanban, Design Thinking, Working out Loud, Moving Motivators …)
- Start eines Pilotprojektes
- Gestaltungen weiterer agiler Formate wie z. B. Lernreisen als Impuls und externer Ideengeber, aber auch als Vergleich zum Status der eigenen Transformation
- Befähigung und Begleitung von Führungskräften zur Führung im agilen Kontext
Inhalte und Ergebnisse der Etappe 1: Die agile Standortanalyse
Zunächst erfolgt in Etappe 1 ein Check-up-Workshop mit den Führungskräften.
Dabei geht es darum, das WARUM genauer zu definieren (agile Standortanalyse), d. h. die Auslöser, Rahmenbedingungen und (zukünftigen) Anforderungen zu identifizieren, die bereits erfolgten Schritte, Möglichkeiten und Grenzen agilen Arbeitens zu erkennen und Lernen im jeweiligen Kontext zu ermöglichen.
Als Ergebnis liegt eine agile Standortanalyse vor, und die Führungskräfte gelangen zu einer gemeinsamen Sichtweise, was genau die agile Reise bringen kann und soll. Alle Beteiligten wissen, wo sie starten und wohin die Reise gehen soll. Etappe 1 endet mit der Entscheidung des Managements, dass und wie die agile Reise weitergeht (= Meilenstein).
Inhalte und Ziele der Etappe 2: Das Zielbild
Ab Etappe 2 beteiligen sich auch die Beschäftigten, zunächst im Rahmen einer ebenfalls etwa eintägigen Großveranstaltung. Das Zielbild wird mit allen Beschäftigten gestaltet. Dabei klären alle gemeinsam, was agiles Projektmanagement, agile Führung und agile Organisation für sie – immer auf den Kundennutzen bezogen – bedeuten und lernen dabei auch bereits agile Lern- und Arbeitsformen kennen.
Selbstlernende Organisationen können ihre Potenziale dann voll entfalten, wenn sie diese im Vorfeld identifiziert haben: Durch die Einbindung der Beschäftigten, ihrer Sichtweisen, Anforderungen, Ideen und Fähigkeiten liegt nunmehr ein ganzes Bild mit all seinen vielfältigen Facetten vor.
Aus Etappe 1 und 2 sind die Bereiche für den Start des agilen Transformationsvorhabens als Keimzelle der ersten Veränderungsschritte und als Basis von möglichen Pilotprojekten identifiziert: Wo ist die Energie? Wo ist das Gefühl der Dringlichkeit besonders ausgeprägt?
Selbstlernende Organisationen können ihre Potenziale dann voll entfalten, wenn sie diese im Vorfeld identifiziert haben.
Inhalte und Ergebnisse der Etappe 3: Befähigung und Umsetzung (den Weg gehen)
Die in Etappe 1 und 2 gewonnenen Informationen und Erkenntnisse können nun für die weitere Planung der Etappe 3 verwendet werden. Es gibt also nicht den einen festgeschriebenen Masterplan, sondern die genaue Planung erfolgt nach Etappe 2 (agile, rollierende Planung). Zu diesem Zeitpunkt sind Bedarf und Zielbild so geschärft, dass das weitere Vorgehen sinnvoll geplant werden kann:
- Welche spezifischen Methoden eignen sich besonders gut in welchen Bereichen des Unternehmens (und an den Schnittstellen nach außen)?
- Welche übergreifenden Themen und Methoden sind identifiziert, die wirksam sind und daher in Angriff genommen werden sollen (z. B. agiles Mindset, ggf. agile Standards für alle Bereiche)?
- Wo besteht welcher Trainingsbedarf?
- Welche Praxisprojekte soll es geben, welchen Coaching-/Begleitungsbedarf gibt es?
Sinnvoll ist auch hier eine Verknüpfung von Organisations- und Personalentwicklung, indem Trainings, Pilotprojekte, Coaching- und agile Lern- und Austauschformate genutzt werden. Agile Methoden des Lernens und Zusammenarbeitens sowie wirksame und passende Entwicklungsansätze sind auszuwählen. Bewährt hat sich ein Mix aus dem Erproben agiler Methoden in der Zusammenarbeit (Pilotprojekte), dem Befähigen in Form agiler Erlebnistrainings (z. B. Scrum Bootcamps) und der Begleitung (Coaching).
Bei einem stufenweisen Vorgehen für diese Etappe kann diese beispielhaft zunächst umfassen:
- einen Agile Day für alle Beschäftigten: Hier lernen sie das agile Mindset und die agile Landkarte kennen, sodass einerseits die einzelnen Teams und Bereiche ihre Methoden und Techniken auswählen können und andererseits klar ist, welche übergreifende Koordination und Unterstützung nötig ist, damit die Organisation als Ganzes und gemeinsam in die agile Welt treten kann
- ein agiles Pilotprojekt
- agile Lernformate wie Scrum Bootcamp oder Agile Leadership
- Durchführung einer agilen Lernreise (Besuch eines agilen Unternehmens)
Später können dann weitere Umsetzungs- und Lernformate hinzukommen, wie
- weitere Transformationsprojekte Marktplatz der Macher: dort treffen sich Menschen mit Handlungsanlässen, um miteinander „Schnellboote“ (Vorhaben) zu vereinbaren
- Fuckup Nights: ein Format, bei dem die größten Misserfolge geteilt, hinterfragt und Lerneffekte daraus gezogen werden
- Lean Coffee: ein schlankes Format für kollegialen Erfahrungs- bzw. Wissensaustausch
- Working out Loud (WOL): eine Mentalität der Zusammenarbeit und eine darauf aufbauende Selbstlern-Methode – vom Wissenssammler zum Wissensteiler
- weitere agile Trainingsformate nach Bedarf, z. B. Design Thinking oder Kanban
- agile Teamentwicklung
- agiles Coaching
Als Ergebnis dieser Phase haben die Beschäftigten ein agiles Mindset entwickelt und sind befähigt, agile Methoden in der persönlichen Arbeit, in der Zusammenarbeit in Teams und teamübergreifend anzuwenden. Sie können sowohl Techniken in ihrer täglichen Arbeit nutzen, die auf bestehendem Wissen aufbauen (z. B. Task Boards, Lean Coffee), als auch neue Lernmethoden anwenden, um sich weiterzuentwickeln, z. B. Retrospektiven, Working out Loud …).
Meilensteine
Um die klassische und die agile Welt zusammenzubringen, sollen die wichtigsten Ergebnisse, die in den einzelnen Etappen der Reise zur agilen Organisation erreicht werden, als Meilensteine beschrieben werden.
Meilensteine, die mit den Etappen erreicht werden
Nachhaltigkeit
Eine nachhaltige Umsetzung gelingt nur, wenn sie von Beginn an gut angelegt ist. Sehr gute Erfahrungen haben wir mit Erfahrungsaustausch-, Werkstatt- bzw. kollegialen Beratungsformaten gemacht. Sollte Scrum zu den ausgewählten agilen Methoden zählen, sind darin beispielsweise mit Reviews und Retrospektiven Techniken inkludiert, die permanent lernende und sich verbessernde Teams ermöglichen. Reviews und Retrospektiven können zudem auch als „einzelne“ agile Formate ohne das komplette Scrum-Framework erfolgreich zur nachhaltigen Entwicklung etabliert und genutzt werden. Darüber hinaus kann in Etappe 3 unserer Reise nicht nur eine Begleitung durch externe agile Coaches, sondern auch eine Ausbildung einiger Beschäftigter zum Agile Coach/Agility Master erfolgen. Coaching-Funktionen und -Kompetenzen sind dann auf mehrere Schultern aufgeteilt: Führungskräfte, Agility Master und im Peer-Coaching der Teams auf Kollegen.
Eine nachhaltige Umsetzung gelingt nur, wenn sie von Beginn an gut angelegt ist.
Literaturtipps
Kalle, Stefan (2016): Prozessmanagementmethode Scribble – der fehlende Bildausschnitt einer situativen, lernenden Organisation, in: Brandstätter, Manfred: scribble. Das Arbeitsbuch für agiles Prozessmanagement http://scribble-diemethode.de, DL 25. 07. 2019
Kalle, Stefan (2012): Leistung aus Vertrauen. Wie Projektcoaching zur nachhaltigen Lern- und Leistungskultur von Organisationen beiträgt http://www.brainguide.de/Leistung-durch-Vertrauen, DL 25. 07. 2019
Laloux, Frederic: Reinventing Organizations visuell: Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen Verlag 2017
Lambertz, Mark: Die intelligente Organisation: Das Playbook für organisatorische Komplexität. BusinessVillage GmbH Göttingen 2018
Leopold, Klaus: Agilität neu denken. Warum agile Teams nichts mit Business-Agilität zu tun haben. LEANability GmbH Wien 2018
Veit, Heiko: Praxishandbuch Integrale Organisationsentwicklung. Wiley-VCH Verlag 2018
Was ist los.
Weiterführende Artikel aus unserem Blog.