Agile Organisationsentwicklung

Agilität starten und entwickeln

Die Welt ist und bleibt bunt und vielseitig – finden Sie Ihren Weg in die agile Zukunft

Stefan Kalle

Traditionelle und agile Entwicklung

Neben Digitalisierung ist Agilität derzeit das große Managementthema. Wirtschaftsunternehmen, aber auch Non-Profit- und öffentliche Organisationen wollen agil werden, wissen aber häufig nicht recht, was genau Agilität ist, was sie sich von ihr erwarten und vor allem, wo sie die ersten Maßnahmen setzen können. Immer mehr geht es um eigenverantwortliche Teams und Mitarbeiter, die schneller, kostengünstiger und innovativer arbeiten sollen, um als Organisation näher an Kundenbedürfnissen sein zu können, eine notwendige Voraussetzung, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu sein. Manchen geht es jedoch um mehr: Um Sinnstiftung, um als Mensch authentisch sein und gesunde und erfolgreiche Arbeit leisten zu können. Wohlfühlen, Sinn und Freude sind also nicht das Gegenteil von Leistungsfähigkeit, sondern gehen mit ihr einher. Es sind Kennzeichen von agilen, evolutionären, fluiden Organisationssystemen.

PMCC Agile Organisationsentwicklung: Traditionelle und agile Organisationsentwicklung im Vergleich

Traditionelle und agile Organisationsentwicklung im Vergleich

Organisationsentwicklung oder organisationale Transformation lebt davon, dass sie von den Organisationsmitgliedern selbst und gemeinsam betrieben wird. Die Arbeit am System durch die betroffenen Organisationsmitglieder selbst ist gerade bei der Transformation zur agilen Organisation der richtige Ansatz.

Agile Organisationsentwicklung geht nicht mehr davon aus, dass in der VUCAa -Welt ein statischer Zustand der Organisation erreicht werden kann und soll. Vielmehr ist die Organisation in ständiger Entwicklung und permanent im Fluss.

Eine Transformation zur agil-evolutionären Organisation bedeutet demnach Arbeit am Modell der Unternehmensführung und -organisation durch die Mitglieder der Organisation selbst, anstatt sich bloß den Symptomen unzeitgemäßer Führung und Steuerung zu widmen.

In einer dynamischen Umgebung wird zentralistische Steuerung zum Problem. Wesentlich ist viel mehr die Dezentralisierung von Entscheidungen. Die Hürde besteht jedoch darin, dass wir nicht gelernt haben, etwas Neues zu tun und stattdessen nach bekannten Standards handeln.

Die klassische Managementlehre hat sich (zu) tief in das kollektive Unterbewusste eingebrannt. Agile Organisationsentwicklung ist mehr als ein weiterentwickeltes oder neues, zusätzliches Management-Tool: Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel, um die Gestaltung des Weges weg von der klassischen Managementlehre – also Dinge loslassen und Platz schaffen, damit Neues entstehen, sich entfalten und beibehalten werden kann.


Voraussetzung für engagiertes Arbeiten an Veränderungen ist, dass Menschen überzeugt sind, dass eine bessere Zukunft möglich ist.


Agilität starten und ausrollen

Wenn Menschen in einer Organisation erkannt haben, dass sich etwas ändern muss, stellen sich viele Fragen: „Wo, womit und wie sollen wir anfangen? Und wenn der Anfang gemacht ist, wie können wir das Neue in der ganzen Organisation etablieren? Wie gestalten wir diesen Prozess?“ Hierbei gibt es nicht den einen Königsweg, sondern unterschiedliche Möglichkeiten. Wir befinden uns in einer Zeit des Ausprobierens.

Grundsätzlich ist es erfolgversprechend, mit der vorhandenen Energie zu gehen. Derzeit spüren wir bei vielen Kunden eine Aufbruchstimmung. Viele Menschen spüren, dass sich etwas ändern muss und wollen dies auch. Voraussetzung für engagiertes Arbeiten an Veränderungen ist, dass Menschen überzeugt sind, dass eine bessere Zukunft möglich ist. Laut Pfläging1 erzeugen die Begriffe „wir“, „jetzt“, oder „zusammen“ Dringlichkeit. Die emotionale Erkenntnis, dass es so nicht weitergeht, ist also in vielen Teilbereichen vorhanden. Auf dieser Basis kann sich eine „Koalition für den Wandel“ finden und lernen, gemeinsam komplexe Veränderung herbeizuführen, ein Team zu werden. Sodann gilt es herauszuarbeiten, woher die Organisation kommt, warum Veränderung dringend notwendig ist und wie eine bessere Zukunft aussehen kann. Laloux2 beschreibt vier beispielhafte Ansätze, die auch kombiniert vorkommen können.

PMCC Agile Organisationsentwicklung: Reinventing Organizations

In Anlehnung an Frédéric Laloux 2017: Reinventing Organizations visuell

In einzelnen Bereichen starten – Beispiel Scrum Roll-out

Verbreitet ist Agilität vor allem in der IT und in Entwicklungsbereichen, in denen der agile Ansatz Scrum schon häufig erfolgreich angewandt und vielfach erfolgreich unternehmensweit ausgerollt wird. Meist wird dafür ein Pilotprojekt durchgeführt, um ein positives Leuchtturmprojekt zu setzen, danach erfolgt der Roll-out im ganzen Bereich bzw. in der gesamten Organisation mit einem steuernden Team und mehreren Scrum-Teams. Diese Projekte sind meist dann erfolgreich, wenn sie konsequent von agilen Coaches begleitet werden, die auch im Steuerungsteam, auch Agile Transition Team genannt, sitzen.

PMCC Agile Organisationsentwicklung: Scrum

Eine Erfolgsstory mit Scrum: Vom Pilotprojekt zur umfassenden Umsetzung

Hybrides Projektmanagement

Vielversprechend und verbreitet sind Ansätze der Integration von Scrum in traditionelles Projektmanagement (Hybrides Projektmanagement). Hier sind für alle Betrachtungsobjekte des Porjektmanagements klassiche und agile Tools vorhanden. Erfolgskritisch ist, wann wie geplant und gesteuert wird. Kombinieren insgesamt ist erlaubt, vermischen, verwischen und hin- und herspringen ist jedoch tabu. In der Leistungsplanung beispielsweise gilt es im Projektstrukturplan festzulegen, welche Arbeitspakete agil bearbeitet werden und welche nicht. Das Projektorganigramm definiert, wie die Verzahnung organisatorisch realisiert wird, nämlich durch die Einbindung des Product Owners als Mitglied des Projektteams.

PMCC Agile Organisationsentwicklung: Projektorganigramm im hybriden Projektmanagement

Projektorganigramm im hybriden Projektmanagement

Weitere Varianten: Experimente, einzelne Methoden, Parallelorganisation

„Machen Sie sich auf etwas gefasst: Bei Buurtzorg mit seinen 9.000 Mitarbeitern ist keiner der Vorgesetzte von irgendjemand anderem!“2 Buurtzorg wird derzeit heiß diskutiert, stellt der niederländische Pflegedienst doch für viele ein sehr erfolgreiches Idealbild einer sinnstiftenden Organisation dar. Auch diejenigen, die nicht so weit denken oder gehen wollen, stehen vor der Herausforderung, als Organisation agiler zu werden. Doch wie macht man eine gesamte Organisation agil? In vielen Bereichen sind die Voraussetzungen für Scrum schließlich nicht gegeben.

Voraussetzung hier ist ein Top-Management, das es ernst meint mit agil und evolutionär. Das bedeutet vor allem loslassen, zulassen und abschaffen von Managementpraktiken. Und dann den Rücken freihalten, wenn es einmal schwieriger wird und wieder alle nach den alten, vermeintlich besseren Praktiken rufen. Das Eigentümerumfeld muss also passen.

So könnte das Top Management alle Mitarbeiter zu einer Auftaktveranstaltung – z. B. als Open Space – einladen, seine Vision darstellen und zu Experimenten in der ganzen Organisation ermutigen.

Ebenso können ausgewählte agile Praktiken Schritt für Schritt in der gesamten Organisation eingeführt oder erneuert werden.

Um Mobilisierung zu erreichen, ist darauf zu achten, dass freiwillige Arbeitsgruppen den Prozess steuern oder Prozesse der kollektiven Intelligenz, also Methoden der Großgruppenmoderation, genutzt werden.
Daneben gibt es die Variante, statt die bestehende Organisation zu transformieren, eine innovative Organisation zu schaffen, in die man wechseln kann. Die Idee hierbei ist, dass dies so attraktiv ist, dass immer mehr Mitarbeiter wechseln.

PMCC Agile Organisationsentwicklung: Open Space Agility Transformation

Open Space Agility Transformation: Nur mit agilem Top-Management kann die Organisation agil werden

Agiles und klassisches Management integrieren?

Agil-evolutionäre Organisationen steuern sich über dezentrale Verantwortung, nicht über Zielsysteme. Wer Verantwortung trägt, sucht sich seine Ziele und Aufgaben selbst. Ein langer Weg zur Agilität wird es daher dann, wenn versucht wird, ein klassisches „Führen mit Zielen“ beizubehalten und zu agilisieren, also bloß etwas mehr Bottom-up-Zielvereinbarung statt Top-down-Zielvorgabe und dafür immer kürzere, aufwändige Zyklen der Zielanpassung. Es bleibt dennoch das klassische Managementparadigma: „Oben“ wird strategisch geplant und die Ziele werden kaskadisch heruntergebrochen, schlimmstenfalls wird das Zielsystem mit individuellen Boni gekoppelt.

Somit haben wir nur ein „Mehr“ an klassischem Management ein wenig dezentralisiert und durch kürzere Zyklen flexibler und agiler gemacht. Manche Organisation wird vielleicht genau diesen Weg gehen, weil es kein radikaler Bruch ist, sondern ein schrittweises Vorgehen im Sinne von „die Organisation abholen, wo sie steht“.

Ein Bild: In den 1970er-Jahren gab es sehr ausgefeilte, leistungsfähige Dampflokomotiven, die noch halbwegs konkurrenzfähig waren, letztlich aber von Diesel- und Elektrolokomotiven abgelöst wurden. So könnte es der Pyramidenhierarchie auch bald ergehen, da Hierarchie nicht mit Komplexität umgehen kann.

Agil-evolutionäres Management geht hingegen davon aus, dass die Teams vor Ort Verantwortung übernehmen, d. h. leben. Dass sie das können. Dass die Organisation nur so lebendig sein und sich entwickeln kann. Laloux beschreibt sehr erfolgreiche Organisationen verschiedener Länder, Branchen und Größenordnungen, die keine Strategie und keine Zielsysteme etc. haben. Evolutionäre Organisationen steuern sich mit weniger Management, sie lernen, zu spüren.


Agil-evolutionäre Organisationen
steuern sich über dezentrale Verantwortung, nicht über Zielsysteme.


Die Welt ist und bleibt bunt und vielseitig – finden Sie Ihren Weg in die agile Zukunft

Zukünftig wird es natürlich unterschiedliche Agilitätsgrade zwischen Organisationen geben. Aber auch innerhalb einer Organisation, zwischen Bereichen oder Standorten kann Agilität durchaus in unterschiedlicher Intensität vorkommen. So kann eine Organisation auch den unterschiedlichen Bedürfnissen und Eigenverantwortungsgraden ihrer Mitarbeitenden ein Angebot machen, einen Platz bieten – in einer schnelllebigen Zeit nicht auf Dauer, aber zumindest als Startpunkt für weitere Entwicklungen. Das heißt Menschen abholen, wo sie stehen.

Die Grundrichtung liegt auf der Hand: Top-down-Pyramidenhierarchien werden keine Chance haben, wenn die Anforderungen Schnelligkeit, Innovation und Attraktivität für hochqualifizierte, selbstbestimmte Mitarbeiter in einer instabilen Welt lauten. Aber ähnlich wie beim situativen Führungsstil will und muss nicht jede Aufgabenstellung, nicht jeder Markt, nicht jede Kultur, nicht jede Belegschaft diesen Weg zur gleichen Zeit bis in letzter Konsequenz umsetzen. Die Welt ist bunt und bleibt es.
Aber die Grundrichtung ist klar. Die Organisationen werden neu erfunden. Wer schnell, innovativ und attraktiv für Kunden sowie Mitarbeiter sein will, muss sich auf den Weg machen.

Fangen Sie an – seien Sie konsequent

Starten Sie sofort, aber nach der bewährten, leider oft ignorierten Managementregel: Nicht alles auf einmal wollen, sondern das, was man macht, konsequent und gut machen. Sonst droht die Gefahr, dass Agilität für Chaos oder unrealistische Zielvorgaben herhalten muss und so verbrannt wird. Achten Sie lieber darauf, die Menschen mitzunehmen, das heißt: abzuholen, wo sie stehen. Und ihnen zu trauen. Der Unterschied zum klassischen Changemanagement ist, mehr eigenverantwortlich machen lassen statt den Changeprozess als Top-down-Programm vorzugeben und durchzusteuern – und dann oftmals im Tunnel stecken zu bleiben. Agile Prozesse beinhalten klare Grundsätze, Vorgehensweisen und Konsequenz sowie einen „Schutzraum“. Dann sammeln Sie Erfahrungen, die Sie bewusst auswerten und reflektieren können (Inspection), um daraus zu lernen und Anpassungen vorzunehmen. Das darf übrigens auch Spaß machen. Veränderung willkommen!

Agile Reiseplanung

Lesen Sie im 2. Teil, „Agile Reiseplanung“ , wie die Transformation zur agilen, selbstlernenden Organisation gestaltet werden kann.


Anmerkungen

A VUCA beschreibt sich schnell wandelnde Bedingungen durch die Begriffe Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität

Quellen

1 Pfläging, Niels: Organisation für Komplexität. Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht. Beta Codex Publishing 2013

2 Laloux, Frederic: Reinventing Organizations visuell: Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen Verlag 2017

Literaturtipps

Kalle, Stefan: Leistung aus Vertrauen. Wie Projektcoaching zur nachhaltigen Lern- und Leistungskultur von Organisationen beiträgt. 2012 http://www.brainguide.de/Leistung-durch-Vertrauen

Magretta, Joan: Basic Management. Alles, was man wissen muss. München 2002 Scrum-Guide: https://www.scrumguides.org/docs/scrumguide/v1/ Scrum-Guide-DE.pdf

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